Rabbinisches Wort für den Oktober

Jom Kippur und mit ihm die Jamim Noraim, die Tage voller Ehrfurcht, liegen hinter uns. Es ist eine intensive Zeit der Besinnung und der Selbstprüfung. In die Ungewissheit des vor uns liegenden Jahres 5784 starten wir mit einer Menge guter Vorsätze. Jom Kippur war voller Texte und Symbole, die unsere Hoffnungen und auch unsere Ängste ausdrücken: Viele von uns hatten sich ganz in Weiß gekleidet, fasteten und traten durch die Gebete in einen tiefen Dialog mit sich selbst und mit Gott. Es heißt, dass wir mit diesen Bräuchen die Engel – tadellose Wesen ohne Fehler und ohne Körper – nachahmen. Und so versuchen wir für einen Tag so zu tun, als ob wir keine körperlichen Bedürfnisse hätten und von der Welt losgelöst wären: Wir essen nicht und trinken nicht, tauschen keine Zärtlichkeiten aus, verzichten auf Cremes und ausgiebige Körperpflege, gehen nicht unserer Arbeit nach und kleiden uns ganz in weiß. Jedoch länger als 25 Stunden halten wir das nicht durch, wir sind eben Menschen und keine Engel. Und das ist auch gut so, denn es ist unser Auftrag, nicht im Himmel, sondern mit beiden Beinen auf der Erde zu leben, zu arbeiten, zu gestalten. Wir werden auch im neuen Jahr nicht fehlerfrei leben, aber wir haben immer wieder die Möglichkeit zu einem neuen Start. Darum gilt Jom Kippur eigentlich als einer der fröhlichsten Tage des Jahres (selbst wenn es manchmal schwerfällt, das zu glauben). Der gegenwärtige Reigen der Feiertage von Sukkot, Schemini Azeret und Simchat Torah jedoch bringt uns viele frohe und sogar sinnliche Momente: Die mit Früchten geschmückte Laubhütte verweist uns auf den Reichtum der Natur und unseren Dank dafür. Zu Simchat Torah tanzen wir mit den Torahrollen und sind ausgelassen – die Engel mögen in himmlischen Sphären leben, wir aber sind mit beiden Füßen auf der Erde und halten die heilige Quelle unserer Freude im Arm. Auch die wöchentliche Torahlesung beginnt von neuem – mit der Erzählung von der Erschaffung der Welt, vom Anfang aller Anfänge.

 Möge dieses Jahr und mögen unsere Neuanfänge gesegnet sein – Schanah Towah!

Ihre/Eure Rabbinerin Ulrike Offenberg