Rabbinisches Wort für den März

Das gegenwärtige Jahr 5784 ist ein Schaltjahr, und so schenkt uns der Jüdische Kalender einen zusätzlichen Monat. Der zwölfte Monat wird verdoppelt: Wir haben einen Ersten Adar und einen Zweiten Adar, wodurch das Pessachfest nach hinten verschoben wird. Befinden wir uns also in einer Zeitschleife? Wiederholen wir im nächsten Monat, was wir im vorigen getan haben? Feiern wir zweimal Purim?

Nein, Purim begehen wir im Zweiten Adar, also ist der vorangestellte Zwillingsmonat Erste Adar ein Monat ohne große Ereignisse, ohne Feier- oder Gedenktage, die wir liturgisch besonders zu begehen hätten. Und man möchte sagen: Zum Glück, denn was in unserer Welt passiert und uns atemlos hält, ist schon genug.

Purim feiern wir im Zweiten Adar, weil es an das Pessachfest gebunden ist, das ihm stets vier Wochen später folgt. Die jüdischen Feiertage sagen uns damit, dass auf den Versuch der Vernichtung des jüdischen Volkes der Akt des Aufbruchs und der Befreiung folgt. Nicht Angst und Schrecken behalten das letzte Wort, sondern die Erfahrung von Aufbruch und Befreiung.

Und was machen wir mit den durch ein Schaltjahr gewonnenen Tagen? Auch der Gregorianische Kalender hält dieses Jahr ja einen zusätzlichen Tag für uns bereit, den 29. Februar. Ist dieser Tag oder die Verdopplung des Monats Adar geschenkte Zeit? Oder handelt es sich lediglich um einen Akt astronomischer Berechnung, eine Übertragung der Umlaufzeiten von Mond und Sonne in menschliche Zeit? Kalender und ihre Satzungen geben uns einen Anstoß darüber nachzudenken, was Zeit ist, was sie uns bedeutet und wie wir Zeit leben.

Der Fluss der Zeit ist unserer Kontrolle entzogen. Sichtbar wird er nur an der Stellung von Mond und Sonne, an den Jahreszeiten, an der Veränderung der Natur, am Wachsen, Reifen und Altern von uns selbst und den Menschen um uns. Auf das Vergehen der Zeit haben wir keinen Einfluss, wohl aber darauf, wie wir sie gestalten. Der Jahreskreis mit seinen Fest- und Gedenktagen gibt uns einen Rahmen, innerhalb dessen wir unsere eigenen Tage mit dem Leben der Gemeinde und der Gesellschaft synchronisieren. Dass in einem Schaltjahr der zusätzliche Monat ausgerechnet vor dem Pessachfest eingefügt wird, erinnert uns daran, dass dem Jüdischen Kalender der Auszug aus der Knechtschaft, der Gedanke der Freiheit zugrunde gelegt ist – auch im Umgang mit der Zeit.

Ihre/Eure Rabbinerin Ulrike Offenberg