Rabbinisches Wort für den September

Rabbinisches Wort

Der Monat Elul hat begonnen und mit ihm das tägliche Schofarblasen. Es ist als ein Weckruf für unser Gewissen gedacht, denn die Hohen Feiertage stehen unmittelbar bevor und wir sollen uns auf sie vorbereiten, indem wir Umkehr (Teschuwah) tun. Aber Teschuwah ist nicht nur Aufgabe und Gebot, sie ist auch ein einzigartiges Geschenk an uns, weil sie die Möglichkeit zur Veränderung, zur Wiedergutmachung, zum Neuanfang eröffnet. Es geht dabei nicht um eine Perfektionierung des Egos, wie wir es aus Werbesprüchen oder aus Büchern über Selbstoptimierung kennen. Es geht vielmehr darum, ein Bewusstsein für unsere Grenzen zu erlangen. Anstatt uns selbst kritisch zu prüfen, suchen wir oft lieber die Fehler bei anderen. Von den Engeln heißt es, dass sie vier Gesichter haben und somit in alle Richtungen schauen können. Wir Menschen aber haben nur ein Gesicht, mit dem wir in die Welt schauen – und dem steht eine blinde Rückseite gegenüber. Dort verbergen sich die Dinge, die wir lieber nicht wahrnehmen wollen; das sind die Verhaltensmuster und Gewohnheiten, in denen wir uns bequemerweise eingerichtet haben. Umkehr aber verlangt von uns eine ehrliche Bereitschaft, uns mit unseren blinden Punkten auseinanderzusetzen.

Wir müssen uns kritische Fragen stellen: Was ist in meinem Leben schiefgelaufen? Welche Beziehungen sind in die Brüche gegangen, und was war mein Anteil daran? Dieser Prozess des Sich-Selbst-Befragens ist oft von Trauer, Schmerz und Scham begleitet, aber es gibt keine Abkürzung, um es sich leichter zu machen. Wir können nicht darauf hoffen, dass die inneren und äußeren Brüche von selbst heilen, wir müssen es schon selbst anpacken und die üblichen Ausreden vermeiden.

Ich wünsche uns, dass wir die nötige Kraft und Geduld für diesen Weg der Umkehr aufbringen und sich darin uns Neuanfänge eröffnen. Mögen wir alle zu einem guten Jahr 5784 eingeschrieben und besiegelt werden – zu einem Neuen Jahr, in dem wir mit Frieden, Gesundheit und Glück gesegnet sein mögen.

לשנה טובה ומבורכת תכתבו ותחתמו!

Ihre Rabbinerin Ulrike Offenberg