Zu den Wahlergebnissen in Israel – Ein Kommentar

Wichtig zu erwähnen:

  • Es ist sehr einfach, vom bequemen Sessel in Hannover über Israel, Palästina, Gaza zu sprechen bzw. zu philosophieren. Hier fliegen keine Raketen, fallen keine Bomben, keine Messerattacken, keine Vergeltungsaktionen.
  • Ich bedauere es sehr, dass der Trend zum Rechtskonservatismus, welcher nahezu in der ganzen Welt einen Vormarsch hat, auch meine seelische Heimat Israel, wo ich lebte, und in der israelischen Verteidigungsarmee diente, erreicht hat. 

Zunächst das Positive aus den Wahlen:

  • Die Wahlbeteiligung war hoch, über 71 %! Trotz der fünften Wahl innerhalb von vier Jahren! Über eine Politik- oder Demokratieverdrossenheit kann man nicht reden!
  • Die Demokratie lebt in Israel!
  • Positiv ist zu bemerken, dass die Vertreter der arabischen Parteien wieder viele Sätze im neunen Parlament, Knesset haben!

Versuch die Wahlergebnisse zu kommentieren:

  • Zunächst die Wahlergebnisse:
    • Es gibt nur eine SPD nahe Partei die Awoda mit nur 4 Sitzen von 120!
    • Zwei arabische Gruppen: die eine Chaddasch und Taal mit fünf Sitzen und die zweite Ra’am ebenfalls mit 5 Sitzen.
    • Alle anderen Parteien sind konservativ, rechts oder rechtsextrem, d.h. 106 Sitze!! 
    • Sehr besorgniserregend, dass die aus zwei Bewegungen zusammenaufgetretene Partei Ozma Jehudit, d.h. Jüdische Macht mit rechtsextremen Gedanken 14 Sitze, die ultrareligiöse aschkenasische Partei Jahadut Ha’Tora 7 Sitze und die ebenfalls ultrareligiöse misrachi (also nicht europäische ultrareligiöse) Schass Partei 11 Sitze hat. Also zusammen 32 Sitze, d.h. 26,6 % des Parlamentes, und diese drei Parteien verbreiten rechtsextreme, nationale und ultrareligiöse Gedanken!      
  • Das Ganze begann bereits 1967 nach dem sechs-Tage Krieg. Ein israelischer zeitgenössischer Philosoph und Judaist, Micah Goodman schrieb 2017 ein Buch mit dem Titel: Malkod 67, die Falle von 1967. Der israelische Philosoph Jeschajahu Leibowitz warnte bereits kurz nach dem Sechstage Krieg und schlug vor: aus den be­setzten Gebieten zurückzuziehen, sonst: „die zionistische Idee würde der „Wahnvorstellung des großen Israels“ Opfer fallen.“.

Man vergisst heute, es wa­ren auch die Ministerpräsidenten der Arbeiterpartei, die nach dem Krieg 1967 die besetzten Gebiete im Westjordanland behalten wollten. Das Siedlungsprojekt im Westjordanland begann, als die Arbeiterpartei noch an der Macht war.

Nun wird Leibowitzs Prophezeiung Realität, denn die „Wahnvorstellung“ ist ein de­mokratiegefährdendes Paket sein könnte, nämlich Abbau des Rechtsstaats, Zerlegung der Zivilgesellschaft und das Aus aller Hoffnung auf ein gleichberechtigtes Zusammenleben mit den palästinensischen Bürgern Israels und eine friedliche Lösung mit den Palästinensern im Westjordanland und in Gaza.

Welche sind die Hauptgründe, die zu diesem Wahlergebnis führten?

  • Ari Shavit, ein bekannter israelischer Journalist und Schriftsteller schrieb 2013 in seinem Buch, „Mein gelobtes Land“ folgendes, was ich immer wieder zitiere: „Israel ist der einzige westliche Staat, der ein anders Volk besetzt hält. Israel ist aber auch der einzige westliche Staat, der in seiner Existenz bedroht ist“. Folge für die Wahlen: zu viele Kriege und bomben- und Messerattacken in Israel fördern die ANGST!! Die Debatte über die Angst beherrschte die letzten Wochen die Wahlen. Die rechtsextremen Parteien versprechen mehr Gewalt und Hoffnung auf Sicherheit!
  • Die Kriminalität in den sog. gemischten Städten in Israel, wie Lod, Ramle und im Norden oder im Süden in der Negev, auf arabischer Seite ist sehr hoch, auch hier spielte das Verlangen für innere Sicherheit in die Hände der Rechten.    
  •  Der Wandel Israels ist auch eine Folge der demographischen Entwicklung, welche auch die seriösen konservativen Kreise in Israel betonen, zum Beispiel Keren Tikva und Kohelet.  Die aschkenasische Bevölkerungsgruppe Israels hat zwei Kindern pro Familie, die orthodoxen und ultraorthodoxen Juden, sowohl aschkenasische wie auch misrachi Juden haben ca. 6,7 Kinder je Familie.
  • Auch das Verhältnis der jüdischen und nichtjüdischen (überwiegend also die arabische) Bevölkerung Israels hat sich geändert. Mitte 1990 waren noch 81%, heute 74% der Bevölkerung Juden. Die zionistische Idee des 20. Jahrhunderts, ein jüdischer Staat zu bilden ist in Gefahr!  
  •  Der Erfolg der Rechtsradikalen und Rechtkonservativen basiert auf deren Hauptaussage: „wir wollen einen jüdischen Staat und keinen Staat für dessen alle Bürger sein!“ Die Parolen der Mitte: „wir wollen ein jüdisch -liberaler demokratischer Staat werden“ ist gescheitert.        

Weitere Gründe zum Wahlergebnis: 

  • Die Fehler der Lapid-Ganz Regierung: Ganz hat immer nur für sich als besserer MP geworben. Es waren keine richtigen Ideen im Wahlkampf: „nur nicht Bibi“ wirkte nicht mehr!
  • Die zwei linken Parteien konnten sich nicht gemeinsam auftreten. Folge: die Merez Partei (eine Linksorientierte Partei), die seit ihrer Gründung vor mehr als 20 Jahren immer im Knesset vertreten war, ist herausgeflogen!
  • Die drei arabischen Parteien (Ta’al, Balad und Raam) konnten sich auch nicht einigen, Balad ist von der Knesset herausgeflogen.
  •  Die ultranationalen und ultrareligiösen Stimmen zogen die jungen Wähler an! Die Parolen von Itamar Ben-Gwir und Bezalel Smotrich, wie „wir wollen Hausherren hier sein!“ oder „keine Koalition mit arabischen Parteien!“, „Wir sind nicht wie alle anderen Völker!“ zogen die Wähler an.

Wie ist die Zukunft?

  • Benjamin Netanjahu wird in der Koalition sehr schwer haben, weil er von der gesamten zukünftigen Regierungsmannschaft auf der linksten Seite stehen wird. Die Forderungen der Rechtsradikalen, Rechtsnationalisten und der Ultrareligiösen wird er wegen Druck aus USA (sowohl von der Regierung wie auch von den Juden), nicht durchsetzen können. Er wird etwas leichter haben, wenn am 8. November die Republikaner in USA die Mehrheiten im Senat und im Kongress erobern werden.  
  •  In der Geschichte gab es immer Wunder. Vielleicht möchte Benjamin Netanjahu als Friedensstifter in die Geschichte eingehen. Er wird als längster regierenden Ministerpräsident Israel sein (mit Unterbrechungen). Nach dem Jom Kippurkrieg 1973, wurde durch zwei Persönlichkeiten ab 1977, welche bis dato einander bekämpft habe, Anwar El Sadaat und Menachem Begin durch amerikanische Vermittlung in der Person von Henry Kissinger, einen Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel geschlossen. Wenn auf der Seite der Palästinenser, nach Abu Mazen, ein anderer Präsident käme, der in Westjordanland und Gaza das palästinensische Volk zusammenführen könnte, könnten die beiden, also Netanjahu und der Neue, auch in die Geschichte eingehen. In dem Fall brauchte aber auch Netanjahu eine neue Einheitsregierung in Israel.     

Gábor Lengyel

<< Zurück zur Übersicht