Zur Situation in Israel

Die politische Lage in Israel spitzt sich zu. Die Absicht der Regierung Netanjahu, das Rechtssystem tiefgreifend zu verändern, hat die liberale Zivilgesellschaft auf den Plan gerufen. Seit Wochen finden im Land Massenproteste statt. Erste wirtschaftliche Konsequenzen drohen durch den angekündigten Rückzug wichtiger Firmen und Investoren aus Israel. Selbst der Präsident Jitzchak Herzog hat sich in den politischen Streit mit einem Kompromissvorschlag eingeschaltet. Eine Mehrheit der Israel – sogar Wähler und Mitglieder aus dem konservativen Lager der Likud-Partei Netanjahus – ist gegen den Plan, die Zusammensetzung des Obersten Gerichts und seine Entscheidungen von der Knesset abhängig zu machen. Wichtig zu wissen ist, dass das Oberste Gericht bisher als kritischer Wächter über die „Grundgesetze“ Israels fungierte: Der Staat hat keine Verfassung wie die Bundesrepublik Deutschland, sondern nur 12 Grundgesetze, die wesentliche Rechte aller Bürgerinnen und Bürger des Staates festschreiben. Im Augenblick ignoriert die Regierung (noch) die Proteste und treibt stattdessen die Gesetzgebung voran. Wie dieses Projekt zu beurteilen ist, geht aus dem beiliegenden Beitrag von Richard C. Schneider hervor. Eine außerordentlich kritische Einschätzung liefert auch die aus Kirchentagen bekannte Soziologin Eva Illouz, die in Jerusalem lehrt. Man wird nicht alle ihre Aussagen im Interview, das der Spiegel mit ihr geführt hat, teilen können, aber sie signalisieren doch die große Gefahr, in der sich die Demokratie in Israel zurzeit befindet. 

Zeitgleich eskalieren die Spannungen zwischen palästinensischen Terrorgruppen wie dem islamischen Dschihad und der PFLP einerseits und dem israelischen Militär und der Polizei andererseits. Diese Gruppen haben einen starken Rückhalt durch viele Palästinenser (72 % befürworten den bewaffneten Kampf gegen Israel). Sie agieren nicht nur von der Westbank aus, etwa aus dem „Flüchtlingslager“ Jenin oder aus Nablus, sondern begehen auch in Israel selbst Anschläge auf Zivilisten. Die Zahl der Menschen, die bei den Feuerüberfällen und der Gegenwehr der IDF-Einheiten (Israel Defense Forces) ums Leben kommen, ist so hoch wie seit der 2. Intifada (2000-2005) nicht mehr.

Trotz alledem: Der Staat Israel ist in seiner Geschichte schon so vielen Krisen ausgesetzt gewesen, deren Überwindung zur vorsichtigen Hoffnung Anlass gibt, dass auch diese existenzielle Bedrohung von innen und außen bewältigt werden kann.

Dr. Hartmut Lehnhardt und Gerd Naber, Nordhorn

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