Rabbinisches Wort für den Dezember 2024 / Kislev 5785
Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg
Wir durchleben gerade die dunkelsten Wochen des Jahres, da ist unsere Fähigkeit, mit schlechten Nachrichten umzugehen, noch geringer als gewöhnlich. Es ist kein Wunder, dass viele Kulturen und Religionen in dieser Jahreseit in Lichterfeste begehen. Jüdinnen und Juden freuen sich auf Chanukkah, das mit seiner Lichtvermehrung über acht Tage Wärme und Hoffnung spendet. Jeden Tag zünden wir eine weitere Kerze am Chanukkahleuchter an, bis er am achten Tag hell erstrahlt. Und wenn die Tage des Festes vorbei sind, ist es an uns selbst, Licht in die Welt zu bringen.
Das war das erste Gedicht, das die junge Hannah Szenes (sprich: Senesch) auf Hebräisch verfasst hatte, deren 80. Todestag wir in diesen Wochen gedenken. 1921 in Budapest geboren und aufgewachsen in einer liberaljüdischen Familie, wurde sie durch die Erfahrung des Antisemitismus zu einer Zionistin. Nach Abschluss der Schule wanderte sie 1939 nach Erez Israel aus und lernte zwei Jahre lang in der Landwirtschaftsschule des Moschaws Nahalal im Jesreel-Tal. Noch in Ungarn hatte sie angefangen, Hebräisch zu lernen, und nach ihrer Alijah verbesserte sie ihre Sprachkenntnisse so schnell, dass sie nicht nur fließend sprechen konnte, sondern auch ihr persönliches Tagebuch in dieser Sprache führte und anfing, hebräische Gedichte zu schreiben. Ab 1941 lebte sie im Kibbuz Sdot Yam am Mittelmeer südlich von Haifa, der ein Stützpunkt des Palmach war, um angelandete Flüchtlinge aufzunehmen. 1943 wurde sie für eine Mission der Jüdischen Brigade innerhalb der britischen Armee ausgewählt, um die Alliierten in Europa und die bedrängten jüdischen Gemeinden zu unterstützen. Mit dem Fallschirm sprang sie über Jugoslawien ab, lebte bei Partisanen, wurde aber beim Grenzübertritt nach Ungarn verraten und von der faschistischen ungarischen Gendarmerie festgenommen. Nach monatelanger Haft und furchtbarer Folter wurde Hannah Szenes am 7. November 1944 / 28. Cheschwan 5705 hingerichtet.
Im hier wiedergegebenen Gedicht spricht sie von der Finsternis, die trotz der grellen Feuer des Krieges herrscht. Gegen diese Dunkelheit müssen wir Lichter der Menschlichkeit setzten, selbst wenn diese klein und schwach wirken. Hannah Szenes wurde selbst zu einer Leuchte; ihre Biographie, ihre Tagebücher und die vielen hinterlassenen Gedichte machten aus ihr einen „Star“ der jüdischen und israelischen Kultur. Viele ihrer Texte wurden vertont – zum Beispiel singen wir häufig zu Beginn des Gottesdienstes ihr Lied „Eli Eli“: „Mein Gott, mein Gott, möge doch niemals aufhören: der Sand und das Meer, das Rauschen des Wassers, der Blitz vom Himmel, das Gebet des Menschen“. Ihre Gedichte bringen Licht in unsere Seelen, geben Mut und Hoffnung, gerade wenn man manchmal am Verzweifeln ist. Jehi Sichrah Baruch – Möge ihr Angedenken zum Segen sein.
Möge es uns vergönnt sein, mit unserem eigenen Leben viele Lichter in der Dunkelheit zu entzünden. Chanukkah Sameach – ein frohes Lichterfest wünscht
Ihre/Eure Rabbinerin Ulrike Offenberg