Brief aus Jerusalem Nr. 14

Autorin:
Dr. Deborah Weissman

Obwohl der vergangene Monat voller Ereignisse war, von denen wir im Folgenden einige erwähnen, übertreiben wir nicht, wenn wir sagen, dass das wichtigste Ereignis für Israel und seine Nachbarn im Norden und Süden, im Libanon, im Gazastreifen und im Westjordanland wahrscheinlich die US-Wahlen vom 5. November waren. Die Wahl von Präsident Donald J. Trump für eine zweite Amtszeit brachte etwas ins Spiel, das man in einem Spiel als Joker bezeichnen könnte. Sowohl Israelis als auch Palästinenser und ihre Unterstützer hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, was seine Wahl für die Region bedeuten würde. Da das einzig Vorhersehbare an Trump ist, dass er unberechenbar ist, bleibt abzuwarten, wie sich seine Wiederwahl auf den Nahen Osten und insbesondere auf den Krieg auswirken wird, der nun in sein zweites Jahr geht.

Ungefähr der gleiche Prozentsatz der Israelis, die Trump unterstützten, war unter den amerikanischen Juden – vor allem den nichtorthodoxen (67-70 %) – gegen ihn, Anfangs unterstützten ihn viele arabische Amerikaner, vor allem als sie sahen, wie die Demokratische Partei versuchte, potenziellen jüdischen Wählern zu versichern, dass Israel nicht im Stich gelassen würde. Die ersten Ernennungen Trumps in der Region – z.B. des neuen US-Botschafters in Israel, Mike Huckabee – zeigen jedoch, dass Trump auf eine seiner wichtigsten Wählergruppen, die amerikanischen evangelikalen Christen, Rücksicht nimmt.

Einige Israelis hatten gehofft, dass Trump kein Waffenembargo gegen Israel verhängen und den Israelis freie Hand bei der Führung des laufenden Krieges gegen die Hamas und die Hisbollah lassen würde. Aber er hat sich oft als jemand präsentiert, der Kriege beenden wird, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, Präsident Biden, in dessen Amtszeit zwei große Kriege ausbrachen – in der Ukraine und im Nahen Osten. Auch hier hoffen einige Israelis – vor allem die israelische Rechte -, dass Trump und Huckabee die israelische Annexion des Westjordanlandes unterstützen werden.

Aber es gab noch viele andere bemerkenswerte Entwicklungen im letzten Monat, auf die wir nun eingehen. Ende Oktober beging die religiöse und traditionelle israelische Öffentlichkeit einen weiteren Jahrestag des letztjährigen Massakers, diesmal am hebräischen Datum von Simchat Tora, dem Fest, das 2023 auf den 7. Oktober und dieses Jahr auf den 24. Oktober fiel. Viele jüdische Gemeinden in Israel und im Ausland haben mit der Frage gerungen, wie sie die „Freude an der Tora“, die normalerweise den fröhlichen und sogar ausgelassenen Abschluss des Herbstfestzyklus bildet, feiern sollen – nicht nur während eines andauernden Krieges, sondern auch, wenn wir immer noch 101 Geiseln in Gaza haben.

In „normalen“ Jahren wird das Fest mit sieben Prozessionen rund um die Synagoge gefeiert, bei denen die Gemeindemitglieder die Torarollen tragen und nach jeder Prozession gesungen und getanzt wird, um unsere Liebe zur Tora zum Ausdruck zu bringen. In diesem Jahr haben viele Gemeinden einen zurückhaltenderen Ansatz gewählt, manche mit einer ersten Prozession in Stille. Viele Publikationen mit besonderen Liedern und Gedichten, die sowohl Elemente der Trauer als auch der Hoffnung enthalten, wurden veröffentlicht und einige davon – zumindest vorübergehend – in unsere Liturgien aufgenommen. Es ist auch üblich, an diesem Fest ein Yizkor-Gebet für die Toten zu sprechen, und in vielen Gemeinden wurden diese Gebete an die aktuelle Situation angepasst.

Die Kämpfe im Gazastreifen dauern an und fordern täglich Opfer, sowohl unter der Bevölkerung als auch unter den israelischen Soldaten. Einige rechtsextreme Politiker haben den Wiederaufbau jüdischer Siedlungen im Norden des Gazastreifens gefordert. Interessanterweise hat der religiös-zionistische Sektor der jüdischen Gemeinschaft – der nicht unbedingt mit der gleichnamigen politischen Partei verbunden ist – weit mehr als seinen Anteil an den Opfern der IDF verloren. Dieser Sektor, der vielleicht 13-15% der israelischen Gesamtbevölkerung ausmacht, stellt etwa die Hälfte der in diesem Krieg gefallenen Soldaten. Vielleicht ist dies darauf zurückzuführen, dass sich viele von ihnen freiwillig für Kampfeinheiten melden. Der einzige Teil der jüdischen Bevölkerung, der sich nicht an den Kämpfen beteiligt, sind die Haredim, die Ultraorthodoxen. Einige von ihnen hielten kürzlich in Jerusalem eine besondere Gebetswache ab, bei der sie für das Wohlergehen der israelischen Soldaten beteten und gleichzeitig dazu aufforderten, dass ihre jungen Männer nicht eingezogen werden, mit dem Argument, dass das Beten und das Lernen der Thora eine Form sei, das Land zu schützen.

Dieses spezielle Thema – die Einberufung der Haredim – war einer der Streitpunkte, die kürzlich zur Entlassung von Verteidigungsminister Yoav Gallant durch Netanyahu führten. Sie erinnern sich vielleicht, dass Netanyahu vor dem Ausbruch des Krieges (März 2023) versucht hatte, ihn wegen anderer Probleme zu entlassen. Beim ersten Mal war der öffentliche Aufschrei so groß, dass Hunderttausende Israelis auf die Straße gingen und die Entlassung zurückgenommen wurde. Diesmal demonstrierten weniger Menschen, und inzwischen hat Netanyahu einen seiner Loyalisten zum Nachfolger ernannt, der militärisch unerfahren und für den Posten nicht qualifiziert ist. Der Wechsel des Verteidigungsministers mitten im Krieg ist ein Novum, auch wenn viele Israelis zu diesem Zeitpunkt Neuwahlen fordern, um den Premierminister abzulösen.

Die Protestbewegung in Israel versucht nun, mit vier verschiedenen Forderungen zu jonglieren: 1) Freilassung der Geiseln; 2) Ende des Krieges; 3) Einberufung der Haredim; 4) Schutz der Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara. Sie ist die Favoritin des Zentrums und der Linken für ihre mutige Haltung gegenüber dem Premierminister und seinen Anhängern inmitten der Kritik der Rechten für Netanjahu und sogar der frauenfeindlichen Angriffe der extremen Rechten gegen sie. In einigen Großstädten gibt es mehrmals pro Woche Demonstrationen, aber insgesamt sind es weniger als früher, und die Unentwegten sind müde und erschöpft. Man darf nicht vergessen, dass diese Menschen, von denen viele seit Januar 2023 gegen die Justizreform der Regierung demonstrieren, den Teil der Bevölkerung repräsentieren, der in der Armee dient, Reservedienst leistet (oder, während der Ehepartner Reservedienst leistet, zu Hause bleibt und sich um die Familie kümmert), zur Erwerbsbevölkerung beiträgt, Steuern zahlt etc.

Es gibt eine wachsende Zahl junger meist nicht-religiöser Israelis, die zunehmend das Gefühl haben, in Israel keine Zukunft zu haben. Einige von ihnen suchen aktiv nach anderen Orten, an die sie gehen können. Vor kurzem kam es in Amsterdam am Jahrestag der Kristallnacht zu einem antisemitischen Anschlag. Auch wenn dieser Anschlag nicht unprovoziert war, hat er doch gezeigt, dass das Leben an anderen Orten ebenfalls schwierig sein kann.

In diesem Monat gelang Israel ein begrenzter, aber präziser Angriff auf iranische Militärziele. Bisher gab es keine Vergeltung, wir warten ab, was passiert. Aber es gab einen Drohnenangriff der Hisbollah, der das Haus von Netanyahu in Caesarea traf, und der Premierminister und seine Familie sind seitdem sehr besorgt. Es gibt Gerüchte über ein mögliches Abkommen im Norden, das die Kämpfe eindämmen könnte, aber das bleibt abzuwarten.

Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch einen interessanten Beitrag über die Beteiligung Nordkoreas an diesem Konflikt erwähnen, den ich gesehen habe. Erstens hat sich herausgestellt, dass die Nordkoreaner vor 52 Jahren die Mitglieder der Gruppe „Schwarzer September“ ausgebildet haben, die bei den Olympischen Spielen in München elf israelische Sportler ermordet haben. Zweitens wurde das Massaker vom 7. Oktober u.a. mit nordkoreanischen Waffen verübt. Die Nordkoreaner unterstützen den Iran, Syrien und die Hisbollah. Sie sind weder Araber noch Muslime, noch liegen sie in der Nähe des Nahen Ostens. Ein Denkanstoß…

Die englische Version können Sie hier herunterladen

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